Francis Bacon
(England, 1561-1626)
Bacon war Lordkanzler unter James I in England. Heute ist er einer der drei Heroen einer Gruppe von Wissenschaftsforschern, die davon überzeugt sind, dass Wissenschaft vor dem 16. Jhdt. kaum existierte und erst damals von einer kleinen Gruppe einsamer Genies entdeckt und entwickelt wurde. Ein von den meisten dafür gepriesenes Dreigestirn besteht außer Bacon noch aus Galileo Galilei und René Descartes.
Die große Verehrung Bacons kann ich nicht teilen. Aus meiner Sicht, die ich mit anderen wie Albert Schweitzer etc. teile, war Bacon ein, um Schweitzer zu zitieren "wurmstichiger" Charakter. Es stimmt zwar, dass sich besonders in England des 17. Jhdt. viele prominente Wissenschafter immer wieder auf Bacon beriefen, als sie etwa die "Royal Society" gründen wollten. Das sollte aber vor allem als taktisches Manöver gesehen werden, das notwendig war, um den gerade aus dem Exil aus Frankreich zurückgekehrten Charles II. davon zu überzeugen, dass es sich hier um eine königstreue Bewegung handle. Robert Boyle, einer der Betreiber dieser Vereinigung, äußert sich verschiedentlich sehr distanziert gegenüber Bacons wissenschaftlichen Beiträgen.
Bacon war ein skrupelloser Aufsteiger, der vor nichts zurück schreckte, um seine Karriere zu befördern. Er war ein begnadeter Rhetoriker, eine Befähigung, die er an jenen Universitäten erwarb, die er in der Folge, zum Teil berechtigt, kontinuierlich schlecht machte. Diese Fähigkeit ist in seinen Schriften leicht nachzuempfinden, in denen er eine Überzeugungskraft dokumentiert, die ihresgleichen sucht. Seine rhetorische Begabung setzte er in verschiedenen Gerichtsverfahren gekonnt ein, um die königlichen Interessen gnadenlos durchzusetzen. Seine Loyalität zur zunehmend absolutistischen Herrschaft verschaffte ihm im Laufe der Zeit ein gewisses Wohlwollen der Herrschenden, etwas weniger bei Elisabeth I., mehr bei James I., sowie bei deren obersten Geheimdienstchefs, Sir Francis Walsingham, bzw. Sir Robert Cecil.
Zusätzlich zu dieser Kunst verstand er es als Geheimagent, wichtige Informationen zu sammeln und zu analysieren, die gleichfalls im Interesse der herrschenden Cliquen waren. Deshalb entwickelte er eine systematische Befragungsmethode für Verhöre - auch unter Folter -, die er in der Folge als Verfahren bei der experimentellen Erforschung von Naturphänomenen propagierte. I. Kant bewunderte ihn noch dafür, dass er angeblich als Erster erkannt hätte, dass die Natur auf die Folter zu spannen wäre, wenn man wahre Antworten erhalten möchte.
Der in den Naturwissenschaften so gern gebrauchte und von ihm geprägte Begriff eines "experimentum crucis" stammt aus dieser Praxis: Er bedeutete ursprünglich nichts anderes als "Kreuzverhör".
Bacon setzte, wie die Datierungen seiner Publikationen recht deutlich machen, seine schriftstellerischen Begabungen immer dann ein, wenn er glaubte, dass er die öffentliche (bzw. königliche) Aufmerksamkeit wieder einmal verstärkt auf sich lenken müsse, um einen Karrieresprung zu machen. In solchen Schriften verweist er häufig auf die praktische Nützlichkeit angewandter, experimenteller Forschung und ihre potenziell positiven Wirkungen für das "common weal", die allgemeine Wohlfahrt, wobei er selbstverständlich nicht vergisst, seine großen Kenntnisse auf diesem Gebiet unter Beweis zu stellen. In diesen Exkursen bemühte er sich zwanghaft Forscher wie Kopernikus, Gilbert oder Galilei zu widerlegen, allerdings nur argumentativ aristotelisch, nicht auf der Basis von ansonsten von ihm sosehr gepriesenen Experimenten.
Anders als manche meinen, ist auch seine auf Nutzanwendung orientierte Sicht gleichfalls keineswegs seine Erfindung, sein Onkel Sir Thomas Gresham vertrat sie u.a. bereits lange vor ihm. Dieser stiftete auch in seinem Nachlass ein nach ihm benanntes College zu diesem Zweck, das von manchen als "Wiege der Royal Society" bezeichnet wird.
Wichtiger erscheint jedoch in diesem Kontext, dass die englischen Herrscher in permanenten Finanzkrisen steckten und allein schon deshalb jeder Verweis auf potenzielle ökonomische Zuwächse, die aus dieser Art von Forschung zu erwarten wären, positive Aufnahme in deren Augen finden musste. Nicht ganz vergessen sollte man in diesem Zusammenhang, dass der stets schwer verschuldete Bacon selbst ein eminentes Interesse an Einkünften aus der Vergabe von Patenten hatte, eine Tätigkeit, die ihm als Lord Siegelbewahrer locker von der Hand ging.
Was Bacon früh begriff, vermutlich als Folge seiner geheimdienstlichen Recherchen, war, dass Wissen Macht bedeutet, wobei auch für diese Einsicht Giordano Bruno der Primat zukommt. Deshalb vermutlich versuchte er wiederholte Male, wenn er keine weiteren Karrieremöglichkeiten mehr sah, weil ihm andere vorgezogen wurden, sich quasi als ersten "Forschungs-, Wirtschafts- und Industrieminister" zu empfehlen. Allerdings ohne Erfolg!
Bacon selbst hat inhaltlich nichts Nennenswertes zur Entwicklung der "Philosophia Experimentalis Naturalis" beigetragen. Auch seine Vorschläge, wie experimentelle Forschung durchzuführen wäre, um von experimentellen Daten induktiv zu generellen Aussagen zu kommen, waren nicht zielführend, wie er selbst anhand seiner Überlegungen zur Wärmelehre demonstriert.
Das einzige Experiment, von dem man weiß, dass er es selbst durchgeführt hat, kostete ihm das Leben. Er versuchte ein Rebhuhn mit Schnee auszustopfen, um es zu konservieren. Bei dieser Betätigung holte er sich eine tödliche Lungenentzündung. Ob er dabei den "Idols of the Market" oder den "Idols of the Theater" erlegen ist, bleibt eine nicht zu beantwortende Frage.
Gleichfalls offen bleibt noch, warum so viele prominente Wissenschaftsforscher noch immer auf diesen scholastischen Rhetoriker hereinfallen. Diese Frage hat allerdings noch eine Chance beantwortet zu werden.